Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 11. Die Reichstage zu Augsburg 1510 und Trier/Köln 1512 bearbeitet von Reinhard Seyboth

Nach seiner spätestens Anfang Februar 1512 in Regensburg getroffenen Entscheidung, den angekündigten Reichstag nun doch nicht in Augsburg abzuhalten, reiste Kaiser Maximilian über Nürnberg und Würzburg nach Frankfurt. Mutmaßungen, er wolle an den Rhein ziehen, um sich mit den dort ansässigen Kurfürsten zu treffen und zu beraten (Nr. 936 [3.]), bewahrheiteten sich nur bedingt, denn in seinem am 27./28. Februar ergangenen Ladungsschreiben an die Reichsstände gab er bekannt, er wolle den geplanten Reichstag nunmehr entweder in Koblenz oder in Trier durchführen (Nr. 940). Diese nicht eindeutige Ortsangabe und das fehlende Datum für den Beginn der Zusammenkunft fallen ebenso aus dem üblichen Rahmen wie die beiden benannten Tagungsorte, die nicht zu den traditionellen Schauplätzen von Reichsversammlungen wie etwa Nürnberg, Frankfurt, Augsburg oder Worms zählten. Dafür, daß Maximilian schließlich Trier als Malstatt wählte, gab es mehrere Gründe, u. a. den Umstand, daß dort im Gegensatz zu anderen Orten im mittelrheinischen Raum zum fraglichen Zeitpunkt keine ansteckenden Krankheiten grassierten. Mit ausschlaggebend war aber sicher auch, daß er von Trier aus bei Bedarf rasch und vergleichsweise sicher in die Niederlande gelangen konnte, um dort seiner Tochter Margarethe gegen Herzog Karl von Geldern beizustehen. Das nur den eigenen Interessen dienende Votum des Kaisers für das stark dezentral, d. h. am Rand des Reichsgebietes gelegene und auch aus organisatorischen Gründen nur bedingt geeignete Trier rief allerdings deutliche Kritik hervor. Obwohl sich die Trierer Stadtführung nach Kräften um das Wohl ihre zahlreichen hochgestellten Gäste bemühte (Nr. 1847), gab es von deren Seite immer wieder Klagen, insbesondere über die mangelnde Qualität der Herbergen und zu hohe Preise für Kost und Logis (Nr. 1740 [4.], 1780 [3.], 1781 [4.]).

Wegen der genannten besonderen Umstände der Reichstagseinberufung dauerte es geraume Zeit, bis die Geladenen in Trier eintrafen. Diejenigen, die lange auf sich warten ließen, wurden von Kaiser Maximilian nochmals mehrfach und mit Nachdruck zum persönlichen Erscheinen oder zur Entsendung von Gesandten aufgefordert (Nr. 959, 967-969, 973-975, 978). Dazu gehörte insbesondere der sächsische Kurfürst und Reichsstatthalter Friedrich der Weise, der erklärte, er könne aus gesundheitlichen Gründen die weite Reise nach Trier nicht auf sich nehmen (Nr. 952, 963-966), vermutlich aber auch wegen des schwelenden Konflikts um Erfurt ein persönliches Zusammentreffen mit dem Kaiser und seinem Kontrahenten Erzbischof Uriel von Mainz scheute. Erst Mitte April schickten er und sein ebenfalls nicht persönlich teilnehmender Vetter Herzog Georg von Sachsen auf nachdrückliche Empfehlung ihrer Kontaktleute am kaiserlichen Hof (Nr. 1082 [8.]) eine gemeinsame Delegation (Nr. 1593). Die um die Sicherheit ihrer Gesandten auf dem Anreiseweg fürchtende Reichsstadt Nürnberg fertigte diese sogar erst Anfang Juni ab (Nr. 1746).

Der Kaiser hingegen traf, von Koblenz aus per Schiff moselaufwärts reisend, bereits am 10. März und damit wesentlich früher als die allermeisten ständischen Reichstagsteilnehmer in Trier ein. Im sogenannten Palast, den ihm der erst im Vorjahr gewählte neue Trierer Erzbischof Richard von Greiffenklau zur Verfügung stellte, bezog er Quartier (Nr. 1832 [4.]). Die folgenden fünf Wochen verbrachte er mit informellen politischen Gesprächen und Ausflügen in die nähere und weitere Umgebung, aber auch mit Besuchen in Trierer Klöstern, der Mitfeier von Gottesdiensten sowie aufsehenerregenden Bußübungen während der Karwoche (Nr. 1832 [6.], [7.], [9.] - [11.], [16.], [18.], [22.], [24.] - [26.]). Diese Selbststilisierung als frommer, gottesfürchtiger Monarch war offenkundig gezielt gegen Papst Julius II. gerichtet, der nicht nur für seine ausgesprochen weltliche Lebensführung bekannt war, sondern dem Maximilian auch seine unerwartete Verständigung mit den Venezianern im Februar 1510 nie verziehen hatte.

Im Kontext der papstkritischen Aktivitäten des Kaisers kann demzufolge auch die von ihm im April 1512 in Trier initiierte Suche nach dem Heiligen Rock, den der biblischen Überlieferung nach Jesus vor seiner Kreuzigung getragen hatte, gesehen werden. Diese kostbare Reliquie wurde nach ihrer Auffindung im Hochaltar des Trierer Domes zusammen mit etlichen anderen dort entdeckten Heiltümern am Tag Inventionis crucis (3. Mai) in Rahmen einer feierlichen Gedenkmesse für Maximilians Ende 1510 verstorbene zweite Gemahlin Bianca Maria den anwesenden deutschen Reichstagsteilnehmern und den Abgesandten ausländischer Mächte erstmals präsentiert (Nr. 1833, 1834). Am folgenden Tag fand, wiederum mit zahlreichen hochgestellten Teilnehmern, ein weiterer Gottesdienst zu Ehren des verstorbenen Trierer Erzbischofs Jakob von Baden, eines Verwandten Maximilians, sowie der Gefallenen der Reichskriege statt (Nr. 1835 [4.]). Die durch den Kaiser angestoßene Wiederauffindung des Heiligen Rockes in Verbindung mit den wohldurchdachten kirchlich-religiösen Inszenierungen dienten zum einen dem Ziel, Maximilians moralische Integrität und seine Führungsqualitäten als christlicher Herrscher im Kontrast zum fragwürdigen Papst Julius II. herauszustellen, zum anderen die enge Verbundenheit von Kaiser, Reich und Haus Habsburg sinnfällig zum Ausdruck zu bringen. Am 31. Mai wurde der Heilige Rock dann zum ersten Mal auch der breiten Öffentlichkeit gezeigt (Nr. 1710 [8.], 1261 [3.]). Die Nachricht von seiner Auffindung verbreitete sich schnell im ganzen Reich und löste einen enormen Zustrom von Gläubigen aus – Auftakt zu der noch heute lebendigen Heilig-Rock-Wallfahrt nach Trier. Obwohl die spektakulären Ereignisse rund um die Erhebung und Präsentation des Gewandes Christi nicht zum Reichstagsgeschehen im engeren Sinne gehörten, so prägten sie die Trierer Versammlung doch zweifellos atmosphärisch in ungewöhnlicher Weise und verliehen ihr so in der langen Reihe maximilianeischer Reichstage einen besonderen Stellenwert.

Durch die stattliche Anzahl der im März und April nach Trier kommenden Reichsstände entwickelte sich die dortige zunächst so zögerlich beginnende Reichsversammlung dann doch noch zu einer ähnlich gut besuchten Zusammenkunft wie diejenige in Augsburg 1510. Laut dem als zeitgenössischer Druck vorliegenden Teilnehmerverzeichnis waren vier Kurfürsten, vier geistliche und neun weltliche Fürsten persönlich anwesend, außerdem Gesandtschaften von zwei Kurfürsten (Sachsen und Brandenburg), fünf geistlichen und einigen weltlichen Fürsten sowie etliche Grafen, Herren und Städtevertreter. Auch andere europäische Mächte wie der Papst, die Könige von Frankreich, England, Aragón und Navarra sowie der Großfürst der Walachei hatten Abordnungen geschickt. Hinzu kamen wiederum zahlreiche Grafen, Herren und Gesandtschaften (Nr. 1536, 1537).

Als Folge des langen Wartens auf wichtige Teilnehmer konnte der Reichstag erst am 16. April in den Räumlichkeiten der Trierer Universität, dem sogen. Kollegium, mit der Verlesung der Proposition eröffnet werden (Nr. 981, 1832 [28.]). Dort fanden auch die weiteren Beratungen statt. Doch bereits nach gut drei Wochen tat der Kaiser das, was er offenkundig schon geraume Zeit vorgehabt hatte: Er verlangte von den Ständen, die Verhandlungen sollten nach Antwerpen oder Herzogenbusch, also an einen Ort außerhalb des Reichsgebietes, verlegt werden. Die Stände lehnten dieses Ansinnen zwar strikt ab, zeigten sich aber gegenüber dem alternativen Plan einer Fortsetzung des Reichstags in Köln nicht abgeneigt (Nr. 1687 [2.] und [3.], 1786 [2.], 1818 [2.]). Wenig später, am 17. Mai, verließ Maximilian Trier und begab sich auf direktem Weg in die Niederlande zu seiner Tochter Margarethe (Nr. 1600 [4.], 1706 [6.]). In seiner Abwesenheit führten seine beiden erfahrensten Räte, Hofkanzler Zyprian von Serntein und der kaiserliche Hofmeister Graf Eitelfriedrich von Zollern, die weiteren Verhandlungen mit den Ständen; der Graf von Zollern starb allerdings bereits am 19. Juni in Trier. Die Beratungen verliefen trotz der Abwesenheit des Reichsoberhaupts erstaunlich effektiv, obwohl nunmehr die Kommunikation mit dem Kaiser ausschließlich in schriftlicher Form und über eine längere Distanz hinweg aufrechterhalten werden mußte (Nr. 1820, 1821), wodurch es naturgemäß zu einigen Verzögerungen und Übermittlungspannen kam (Nr. 1822 [7.], 1828 [2.], [3.]).

Das bei seiner Abreise gegebene Versprechen, binnen drei Wochen nach Trier zurückzukehren, hielt Maximilian allerdings zum Verdruß seiner Räte und der Reichsstände nicht ein, vielmehr forderte er letztere Ende Juni auf, binnen acht oder neun Tagen zu ihm nach Köln zu kommen (Nr. 1716 [7.]). Erstaunlich rasch und wohl auch erleichtert reisten die Versammlungsteilnehmer aus Trier ab, doch nur ein Teil von ihnen begab sich auf direktem Weg nach Köln. Einige fuhren nach Hause, wieder andere kamen erst mit Verzögerung am neuen Tagungsort an. Maximilian selbst traf dort am 16. Juli ein (Nr. 1617 [9.], 1717 [1.]). Noch am selben Tag wurden die unterbrochenen Reichstagsberatungen wieder aufgenommen und ohne jede weitere Verzögerung bis zu ihrem Abschluß Mitte September fortgesetzt.

Im Laufe dieser acht Wochen bewältigten die Versammlungsteilnehmer erneut ein bemerkenswert intensives Arbeitsprogramm mit einer ganzen Reihe komplexer, diffiziler und oftmals ausgesprochen kontrovers diskutierter Themen. Weil nicht für alle von ihnen eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden konnte, wurde im vordatierten Reichsabschied vom 26. August festgehalten, daß man verschiedene konkret benannte Probleme, die offengeblieben waren, auf einem weiteren Reichstag erneut erörtern wolle (Nr. 1592 [3.], [5.], [15.], [17.] - [24.]). Dieser sollte auf Wunsch des Kaisers und mit Zustimmung der Stände bereits ab dem 6. Januar 1513 entweder in Frankfurt oder Worms stattfinden. (Nr. 995 [10.], 996 [2.], 997 [9.], 1722 [6.], 1723 [2.], 1724 [1.]). Man einigte sich schließlich auf Worms (Nr. 1011 [34.]). Das kaiserliche Ladungsschreiben zu dieser Zusammenkunft erging am 1. Oktober (Nr. 1849 [3.]). Zu diesem Zeitpunkt hatten die ständischen Versammlungsteilnehmer Köln längst verlassen. Kaiser Maximilian hingegen blieb, wie schon 1510 in Augsburg, noch mehrere Wochen und reiste erst Ende Oktober ab.