Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe. Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., XIV. Band. Der Reichstag zu Nürnberg 1543 bearbeitet von Silvia Schweinzer-Burian, mit Vorarbeiten von Friedrich Edelmayer

Frankfurt ISG, Reichssachen II 963, unfol. (Kop.).

Bey dem puncten, Hg. Heinrichen von Braunschweig belangen, fallen fur zweyerlei bedencken, nemlich, ob ratsamer sey, die ingereumbte gutliche handlung allein mit sein, Hg. Heinrichs, kindern oder aber mit ime, Hg. Heinrichen selber, one die kinder zu verfolgen und sich deßhalben eintzulassen.

Dan erstlich wirdt die sach dahin bedacht, so man das erobert furstenthumb Braunschweig je wiederumb restituiren wolte, das doch solichs allein den kinder zu vervolgen were, aber er, Hg. Heinrich, keinswegs dartzu wiederumb gelassen solt werden, auß diesen ursachen:

Erstlich, das sein, Hg. Heinrichs, natur nhunmer auß vielen handlungen dermassen gespurt und befunden worden, das man sich gewißlich keines glaubens, treu, friedens noch dergleichen (es werde gleich verbrieffung und versicherung deßhalben ufgericht, zum besten als muglich ist) zu ime versehen mag, sonder man sich alweg seiner geschwinden und gefarlichen practiken gegen ime zu besorgen hette, und das sovil mehr, so er nhunmehr in sein voriges thun, wesen und gewalt wiederumb gesetzt oder gelassen wurde.

Zum andern, das also hieraus volgen wurde, das dieser handel (derhalben sein, Hg. Heinrichs, entsetzung fur notwendig angesehen und furgenhomen worden) nit allein besser oder zum wenigsten so gut als hievor, sonder gar viel erger sein wurde, dieweil sonder zweyffel er, Hg. Heinrich, zu aller unruhe und böser practiken nhunmehr in stettiger betrachtung erlittens schadens, schimpfs und spot etc. desto gefliessener sein wurde. Und damit er sich gegen diesen stenden, sonderlich aber den stetten Braunschweig und Goßlar, derenhalben er in gegenwertigen last komen, in allerlei weg rechnen [= rächen] mechte, an ime nicht das menschlich und muglich erwinden lassen wurde. Und ob gleich solchs in den ersten jaren oder so baldt nit geschehe, das es doch zu erster ersehener opportunitet oder bequemlicheit (wie sich dan die felh mit der zeyt noch mancherlei zutragen könthen) gewißlich nit underpleyben wurde. Also were aber den obermelten beiden stetten nit allein nichts verholfen, sonder innen noch mehr sorg und gefarlicheit ufgelegt und aller uncosten in sein, Hg. Heinrichs, entsetzung vergeblich ufgewent.

Zum dritten, das man sich sein, Hg. Heinrichs, so er also ausserm landt und voriges seines gewalts und vermegens entsetzt pleibt, am wenigsten zu befaren oder zu besorgen hat, dieweil vermutlich, er werde nit baldt fursten finden, so sich seiner annemen und ire landt und leuth zu ime setzen wollen, ja das auch diejhenigen, bei denen er sunst mitler zeit sein ufenthalt haben wurde, ime nit baldt aus iren furstenthumben etwas thetlichs oder gewaltlichs furtzunemen gestatten wurden, daraus denselben iren furstenthumben krieg und verderben ervolgen mochte, wie dan solichs die Hgg. zu Beyern (bei denen er sich uf diese zeyt erhelt) alberait mehrmals zusagung thun lassen, ime, Hg. Heinrichen, bei inen und auß iren landen keiner practick noch thetlichen handlungen zu gestatten. So nhun hochgedachte Hgg. zu Bayern (so doch sein, Hg. Heinrich, nechste gesybte [= versippte, blutsverwandte] freundt sein) also hiertzu gesyndt sein, vilmehr werden andere, so nit so vermuglich, auch ime, Hg. Heinrichen, nit so nahen zugethan sein, sich hierin sein, Hg. Heinrichs, nicht beladen wollen. Wurde aber er, Hg. Heinrich, wiederumb in sein vorigen gewalt und regiment gelassen, so ist gut zu erachten, das ime dennacht allerlei zuschub heimlichen beschehen mechte und ime desto lieber per practicas geholfen wolt werden, dasjhenig ausser seinem aigen landt zu erregen, das doch sunst dieselbigen heimlichen helfer ausser iren landen nit gern erregt sehen wolten.

Zum vierten, dieweil zu verhoffen were, die fstl. kinder, so sie wiederumb zum furstenthumb gelassen wurden, das sie nit allein das landtfolck bei dem gepflantzten evangelio wurden bleyben lassen, sunder auch selber, nachdem sie noch jung sein, dartzu gebracht werden mechten, welchs doch, so er, Hg. Heinrich, das regiment widerumb bekhomen solt, keinswegs weder des landtvolcks noch der jungen hern halber zu hoffen were.

Und entlich, so ist dennochter den gemeinen stenden cristlicher vereyn hierin nit zum geringsten zu bedencken, das sie mit gutter gewissen nit zugeben noch gestatten megen, das durch solche zustellung des furstenthumbs des arme landtvolk des angenhomen evangelii beraupt und wiederumb in die alte ferfurische papisterei wider iren willen getrungen werde, welchs doch durch den weg, so die zustellung allein den kindern beschehe, zu verkomen, aber in den andern weg gar nit zu erhalten were.

Hiergegen aber und nemlich das nutzlicher, furtreglicher und verfenglicher [= wirksamer] were, sich in dieser gutlichen handlung mit ime, Hg. Heinrichen, selber eintzulassen und, wo muglich, zu vertragen, wirdt bedacht auß diesen volgenden ursachen:

Erstlich dieweil die warheit, das dennochter er, Hg. Heinrich, der recht principal, dem solchs furstenthumb zugestanden hat, ist und seine kinder gar nit, welchen auch bei leben ires vatters dasselbig von rechts wegen noch nit gepurt. Darumb, so man dieser sachen je grundtlich vertragen sein wolte, muß solchs notwendiglich mit ime, Hg. Heinrichen, als dem principal und nit den kindern (so noch zur zeit damit nit zu thun haben) beschehen.

Zum andern, das auch mit inen, den jungen hern, so noch aller under iren jaren und vast jung sein, so verfenglichen [= wirksam] nit mochte gehandelt werden als mit dem alten, und das sie sich gegen dem vertrag (ob sie inen gleich mit dem aidt bestettigen) dennochten allerlei zu behelfen hetten, welchs der alte nit thun kunthe.

Zum dritten, das auch die sicherung irenthalben vil schwerlicher zu finden sein wurde dan mit dem vatter, dieweil man inen sunder zweivel under anderm einbinden wolte, das sie iren vatter sein leben lang nit ins furstenthumb einkhomen lassen, noch bei sich wissen oder erhalten sollten. Darvor sich dan freylich (dieweil es der naturlichen und angepornen naigung zuwidder) kein furst noch standt verschreyben wurde.

Zum vierten, obgleich solchs geschehe und es die jungen hern (als doch schwerlich zu vermutten ist) also zusagen und annemen, auch deßhalben andere stende sich fur dieselben verschreyben wurden, so were doch hochlich zu besorgen, das dem nit wurde gelept werden, sunderlich in die har [= auf die Dauer], und das sie, die kinder, iren vatter die leng im elendt nit wurden lassen. So sie auch inen gleich wiederumb (irer zusagen entgegen) ins landt lassen wurden, das sie doch von wegen dessen, so sie also auß naturlicher und kindtlicher lieb gethan hetten, nit hoch verdacht, vil weniger mit pillicheit gescholten mochten werden. Solte nhun er, Hg. Heinrich, also beneben den kindern wiederumb one dieser stende willen und dank [= Absicht] ins landt komen, so were es je vil erger, als es vor je gewesen.

Zum funften ist hiemit zu bedencken, nachdem das hertzogthumb Braunschweig des Reichs aigenthumb und also sein, Hg. Heinrichs, lehen ist, das dannochter dasselbig one der ksl. Mt. verwilligung nit wircklichen noch bestendiglichen ime, Hg. Heinrichen, benhomen und wider desselben willen uf seine kinder gewendt werden mechte, aber es ist schwerlich zu hoffen, das solche bewilligung bei der ksl. Mt. zu erlangen seye. Solt man dan on solch bewilligung itz einichen vertrag ufrichten, der in grundt nit kreftig noch bestendig, das were nit allein onratsam, sunder auch schimpflich. Dessen allen het man sich, so man mit dem alten handlen wurde, nit zu besorgen.

Zum sechsten, das durch diese zustellung, so den kindern geschehen solt (ob die gleich iren furgang erlangt) diesen stenden mitnichten verholfen, dardurch auch kein ruhe noch friedt geschafft were, sunder man nochmals sein, Hg. Heinrichs, halben in gefar und sorg allerlei detlicher handlungen, practik und plackereyen steen muste, gleich wie vor und sovil mehr, dieweil er alsdan scheinbarlichen sehen und versteen wurde, das man entlich gemeint were, inen niemermehr ins landt wiederumb komen zu lassen. Also het man nhun gleichwol das furstenthumb wider ubergeben und doch nichts außgericht noch erlangt, und were alle handlung, mit diesen jungen hern gepfleget, one frucht und vergeblich.

Zum siebenden, so ist dannochter nit zu verachten das argument, so die beyerische rethe under anderm angetzaigt, nemlich man solte bedencken, das nit alle stende dieser vereyn der Kf. zu Sachsen und Lgf. zu Hessen noch sie alle grosse comun seyen, dan es ja war ist, wo man sich sein, Hg. Heinrichs, zu besorgen hat (wie man dan gewißlich thun muß, so lang er ausser seinem furstenthumb und man mit ime unvertragen ist), das die eintzlichen [= einzelnen] stede sich mehr dan diese bede chur- und fursten zu befaren haben und ongleichen neben denselben, ob sie gleich die hilf der vereyn zu hoffen haben, sitzen. Solchs bedarf nhun nit weitter außfurens, und waiß ein jeder in dem sein gelegenhait wol zu bedencken.

Damit ich aber schließlichen hierin mein gutbeduncken auch antzaig, so sag ich kurtzlich, das ich mir die meynung der oberlendischen stete aus nechstertzeltem bedencken3 gefallen laß, und nemlich, das verfenglicher [= nützlicher] sein wurde, mit ime, Hg. Heinrichen, selber dan mit seinen kindern sich zu gutlicheit intzulassen, uf mittel und mas, als das zuvorderst bede stede Braunschweig und Goßlar irer clagen halben nach billicheit zufrieden gestelt (weitter irrung kunftiglich zu verhutten) und deßhalben genugsam assecurirt wurden. Deßgleichen diesen stenden ein solche versicherung, damit sie auch fur kunftigem unrath versehen sein mechten, beschehe, und daruf die festen im landt abgethan wurden etc. [Hg. Heinrich] wiederumb in das furstenthumb gelassen werden mechte, dan wo solche mittel und massen, sunderlich aber mit niderwerfung der vhesten also bei ime, Hg. Heinrichen (als doch nit vermutlich), erhalten wurden, so het man sich seines wider einkomens gar wenig zu befaren, dieweil er alsdan weder Goßlar noch Braunschweig uberlestig sein noch sunderlichen schaden zufugen konnte, als der sich weither uf sein Wolffenbuttel oder andere vesten wie etwan gar nit zu verlassen hette, vil weniger mechte er alsdan gegen Sachsen, Hessen und anderen stenden der cristlichen vereyn etwas sorglichs furnemen und außrichten. Ja, ich wolt inen, Hg. Heinrichen, so die vhesten wie gemelt im landt zuvor allenthalben abgethan weren, nirgent lieber dan daselbst in seinem furstenthumb wissen, dan man sein daselbst gewiß were und alles seines thuens und furnemens (daruf man alsdan grosser ufsehens dan hievor haben wurde) am besten wissens haben mechte. So wurde er auch freylich nit mehr dieffe wunden beissen, so ime gehorter massen die zeen [= Zähne] außgebrochen weren. Und ob er gleich wiederumb die vhesten ufbauen oder sich seiner art und natur nach zur rach gern schicken welte, so weren ime doch Sachsen und Hessen und die sachsischen stede rings umher also gesessen, das er an seinem furnemen leichtlichen verhindert werden, auch fur denselben weder volck noch anders statlichen ufbringen mechte, dan mit seinem landtvolck wurde er gewißlich nit schaden thuen. Das man also sein, Hg. Heinrichs, in seinem furstenthumb (so er das obgemelter massen entbloest were) am allersichersten, auch seiner am allermechtigsten were. Und fallen hierdurch die bedencken, so hieoben erstmals antzaigt sein worden, dieweil daran wenig gelegen, ob gleich Hg. Heinrich seinem gebrauch nach nit viel glaubens zu halten gedenckt, sofer er sunst nur nit viel schaden mag, wie beß [= böse] ers gleich im syn hab.

Sovil dan belangt das letzer bedencken erhaltung halben des evangelii, ist demselbigen in der oberlendischen stet gegenbedencken [Nr. 246] genugsam (meins erachtens) geantwurt, dan allein des evangelii halben sol man niemant das sein vorhalten. Wol mecht man deßhalben muglichen vleiß furwenden, das evangelium zu erhalten, so aber da kein volg sein wolte, must mans Got befhelen, der ist mechtig genug, sein wort auch one unser zuthun oder hilf zu handhaben und zu erweittern.

In summa, es werde gleich mit den jungen oder dem alten von Braunschweig dieser restitucion halben gehandlet, so ist doch dieselbig anders nit zu verfolgen oder zu willigen, es werden dan die vesten im landt zuvorderst abgethon, dan one das mag den stetten Goßlar und Braunschweig, auch uberigen stenden dieser vereyn, kein gewisse versicherung beschehen. Wiewol ich warlich darvor halt, die braunschweygischen beyde, alter und junge hertzogen, werden in solchs gar nit willigen, zudem das es baiden chur- und fursten Sachsen und Hessen auch nit gefellig und das derhalben – dieweil auch sonsten die mittel, so beiden theylen annemlich oder leidlich sein mechten und dan die sicherung nit wol zu finden – diese gutliche handlung vergeblich sein werde.

Johan Fichard Dr. etc.

Anmerkungen

1
Johann von Fichard (1512–1581): 1531 Promotion zum Dr. utriusque iuris, 1531–1533 Advokat und Prokurator am RKG, 1533–1536 und 1538 Syndikus der Stadt Frankfurt, 1536 bis 1538 Aufenthalt in Italien (Arbeit in der Kanzlei Karls V.), juristischer Ratgeber von Fürsten und Städten in ganz Deutschland. Siehe: R. von Stintzing, Johann von Fichard, in: ADB 6 (1877), S. 757–759; H. F. Friederichs, Johann von Fichard, in: NDB 5 (1961), S. 120f.; H. O. Schembs, Johann von Fichard, in: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe); R. Jung, Biographischer Abriss über Dr. Johann Fichard, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, 3. Folge, 2. Bd. (1889), S. 209–259 (bzw. Elektronische Edition Speer 2016).
2
Das nicht datierte Gutachten ist als Reaktion auf einen Bericht der Frankfurter Räte aus Nürnberg vom 18. März 1543 (in: Frankfurt ISG, Reichssachen II 962, unfol., Ausf.) entstanden, in welchem die Gesandten auf die unterschiedliche Position der kursächsisch-hessischen Räte und der oberländischen Städte zur Restitution Hg. Heinrichs hinwiesen. Die Verhandlungen in der Causa Braunschweig waren damals wegen der bayerischen Forderung nach Restitution Hg. Heinrichs ins Stocken geraten und die Schmalkaldener mussten sich über die im weiteren einzuschlagende Verhandlungstaktik einigen. Bgm. und Rat von Frankfurt legten das Gutachten Fichards ihrem Schreiben vom 29. März 1543 bei (in: Frankfurt ISG, Reichssachen II 963, unfol., Ausf.); dieses Schreiben samt Gutachten erhielten die Frankfurter Gesandten in Nürnberg laut einem AV Lambs am 3. April 1543. Zu den unterschiedlichen Positionen Kursachsens und Hessens (Nr. 245) sowie der Städte Straßburg (Nr. 246) und Frankfurt (Nr. 256) in der Frage der Restitution Hg. Heinrichs siehe: I. Haas, Reformation – Konfession – Tradition, S. 205f.
3
Bezugnahme auf das Straßburger Gutachten (Nr. 246), das früher entstand und Fichard offensichtlich bereits bekannt war.