Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Zurückweisung von General- und Nationalkonzil. Billigung eines Kolloquiums, um dort die rechte Lehre darzulegen und andere dafür zu gewinnen. Personelle Besetzung und Gesprächsgrundlage des Kolloquiums. Verhältnisse beim Nationalkonzil. Vorausgehende interne Einigung der CA-Stände.

Datum: Dresden, 6. 6. 15561.

HStA Dresden, Loc. 10193/2, fol. 228–232 (wohl Or., unterzeichnet von Philipp Melanchthon) = Textvorlage.

Druck (nach anderer Überlieferung) in zwei Teilen2: CR  VIII, Nr. 6010 Sp. 778 f. (Teil 1: Zurückweisung des Nationalkonzils); CR  IX, Nr. 6143 Sp. 5–8 (Teil 2: Kolloquium). Regest: Scheible/Thüringer  VII, Nr. 7856 S. 444 (Teil 1); Nr. 7800 S. 423 f.3 (Teil 2). Auszug bei Janssen, Zustände, 21.

/228/ Vom national concilio.

Es ist wenig unterscheidt zwischen dem general concilio und national. Und wie wihr mitt gutten grundt und auß großer notturfft das general recusirt haben, eben dieselben ursachen muß man in dieser beradtschlagung wider das national anziehen. Und so mans in grund ansiehet, ist das national noch ferlicher, denn in general seind viel gelerter menner auß frömbden nation etc., item man dringet nicht so hart auff die execution.

Erstlich wird der pabst gleich so wol in national concilio praesident sein wollen als in general4, und wird nichts handeln noch schließen wollen, das ihm nicht gefellig ist. Wie papa Paulus5 in concilio zu Trident nichts hatt schließen laßen, das er nicht zuvor selbs besehen und reformiret hatt6; und hatt ettliche artickel erger gestellet denn die gelarten in concilio. Zum andern werden die bischoffe allein voces decisivas haben wollen. So ist unser teil gar vergeblich da, wie zu Tridento. /228’/ Zum dritten, so sie uns gleich ein anzal stim geben, so procediren sie doch secundum pluralitatem und machen einen meherer wider uns. Zum vierden wurden keiser, könig und andere des pabsts anhang verpflichtet zur execution. Uber dieses alles seind in den bischofflichen höffen und universiteten sehr wenig leutt, welche die religion sachen vorstehen oder nicht öffentlich feind sein: Zu Wien, Cöln, Löven, Ingolstadt, Menz, Freiberg7 weis man, welche theologi seindt, und treiben die cölner [bis] auff diesen tag groß tirannei [gegen den] doctore medico Velsio8, der doch warlich gelimpflich geantwortet hatt.

Dieweil nun öffentlich ist, das die feind und ungelarten in national concilio richter sein wolten, so seind wihr schuldig, sie zurecusiren. Und ist dieses nicht ein gesuchte außflucht zum scheine, sondern ist in grundt die bittere warheitt.

Dieses ist nötig anzuzeigen in reichßtag, so der keiser und könig ihnen zum vorteil furgeben wurden, ein national concilium zu vorsamlen. /229/ Wo sie auch dorauff beharren, ist noth, ein recusation zu opponiren wie wider das general, und kan dieselbe recusation nach notturfft gestellet werden, das man des pabsts, bischoff und theologen regirung, blindtheit und tirannei meldet.

Vom colloquio.

So man jhe etwas sol und muß vorsuchen zur vorgleichung, wie in dem negsten abschiedt gemeldet9, ist dennoch leichtlicher ein colloquium furzunemen. Und ist war, ich wolte, das es nicht allein schein handlung weren auff beiden seiten10, sondern das beiden teilen ernst were, die warheitt zu suchen und hernach rechte einigkeit und gute regierung und disciplin anzurichten und zuerhalten. Denn ich kan nicht vorstehen, das nun11 die leng bischofflicher standt oder unsere unter uns selb ungleicheit und anarchia bestehen könne. Allein hab ich diesen trost, das Gott sein kirch erhalten werde und dazu ettliche gottfurchtige christliche regenten geben. Nun sol aber der mangel nicht an uns sein. Wihr sein schuldig, in nötigen artickeln rechte lehr zu erkleren, treulich und one sophisterei. /229’/ Dazu sollen wihr uns erbieten, so die stende eines colloquii begeren. Denn auch zu hoffen, das ettliche fursten und bischoffe zu rechter lehre durch diese erklerung gebracht werden.

Und ist erstlich von der forma, von praesidenten und personen zu reden. Sechs praesidenten, weltliche fursten: Pfalz, Julich, Sachsen churfurst, Wirtenberg, Sachsen junge herrn, marggraff Hans. So auch bischoff zu praesidenten zu ordenen, möchten Menz und Wirzburg ernennet werden; [die Bff.] von Naumburg und Merßburg wehren als personen colloquii zu gebrauchen. Uff ider seiten zehen personen, colloquenten, und solte jeder person [im] colloquio ein weltlicher radt zugeordnet sein.

Nun kenne ich wenig tuchtiger personen bei den bischoffen, gedenck aber, diese weren zuernennen: Dem primati Germaniae, Magdeburg, geburt von alters her, in national sinodi zu praesidiren. Von dieses12 wegen solt ein gelerter verordnet sein. Naumburg selbs, Merßburg selb13. Einer von wegen Menz, einer von wegen Julich, /230/ einer von wegen herzog Albrechts von Beiern. Bischoff von Munster selb14; einer von wegen Wirzburg, Cöln, Trier. Villeicht wirdt könig Ferdinandus auch seine personen in dem fal haben wollen, oder wirdt Brandeburg churfurst die seinen auch bei diesen ordnen.

Auff unsern teil15: Doctor Schnepp, Brentius, Daniel, pastor zu Dreßden16, Sarcerius, Joachimus Morlein zu Braunschweig, Westphalus zu Hamburg17, Heinricus Stol, prediger zu Heidelberg, Jacobus Rungius pomeranus, Adam Crafft zu Marpurg18 oder doctor Hiperius, doctor Marpagenis zu Strasburg.

Diese auff unseren teil solten bevhel haben, das sie semptlich in allen artickeln ein eintrechtige meinung furtrugen und sich allzeit einer einigen anttwortt vorglichen.

Nun wirdt furnemlich zu reden sein von der lahr, missa, mitteln ceremonien, ordination und bischofflicher jurisdiction. Wie nun der eingang zu machen, davon ist in der andern schrifft, die hiebei geleget ist, kurze erinnerung vorzeichnet19: Nemlich mitt nötiger erzelung der ursachen, warumb die lehrer, chur- und fursten /230’/ und landtschafften diese lehr angenommen und noch dobei mitt Gottes hulff zu bleiben gedencken; daß solches nicht auß forwiz, leichtfertigkeitt, zur neuerung oder zu ungeburliche freiheit oder umb der kirchen gutter willen oder jemand zu vordrieß etc. geschehen sei, sondern das wihr durch die unwandelbare gebott Gottes dazu gedrungen sein. Und diese gebott sol man anziehen, das ettliche in gegenteil erinnert werden, das sie Gott hierinn auch gehorsam sein und rechte lehre annemen, alß nemlich diese gebott: Du solt nicht frömbde götter haben. Fliehet abgotterei. Item: Wer erkenter warheit widerstrebet, der thut lesterung, die nicht vergeben wirdt. Nun ist ganz öffentlich, das in vielen artickeln die päbstlichen abgötterei treiben, stercken und erhalten etc.

Darnach, so man zur sach kompt, ist dieses erstlich furzutragen, das wihr nicht ein gemeng und neue vorwirrung gedencken zu machen, wie mitt dem interim geschehen, sondern erstlich bei den andern suchen, das sie sich vornemen laßen von der lahr. Und mag angezeiget werden, das man ordentlich von den artickeln rede, und wo /231/ sie ettwas fur unrecht halden in unser confession, davon wollen wihr erklerung thun.

Und sol zuvor bedacht werden bei den unsern, auff welche schrifften sie sich eintreglich referiren wollen: Das20 [!] die meinung ist in grund eintrechtig in der augspurgischen confession anno 153021 und in der jungen herrn anttwort an den keiser22 und in der wirtenbergischer confession23 und in der sechsischen stedt antwort auff das interim24. Denn es muß jo die lehr einen namen haben, domitt der jegenteil nicht schrei, man wiß nicht, was wihr halten, und geben fur, der unseren schrifften seindt ungleich, einander widerwertig. Das sie allein zu unsern unglimpf reden, so sie doch wissten, das unsere kirchen in der haubtlehre eintrechtig seind.

Wo nun die pebstlichen in heubtartickeln der lehr nicht mitt uns eintrechtig sein wollen, so ist vorgeblichen, in den andern sachen zur missa, ordination, jurisdiction fortzuschreitten. Ich gedenck aber, wann wihr gleich eintrechtig seind de iustificatione, so werden sie in diesen artickeln de ecclesia, de missa, /231’/ de invocatione sanctorum nicht von ihren irrthumen abstehen wollen. Dennoch möchten durch Gottes gnad ettliche fursten bewegt werden, rechte lehre anzunemen.

Dem keiser, könig und vielen andern liegt der artickel von der priester ordinatio hefftig an, denn sie stecken in dieser opinion, unsere priester, die nicht von bischoffen ordinirt seindt, kunnen nicht consecriren; und schleifft diese fantasei viel irthumb mitt sich. Derhalben, so das colloquium werden solt, mussen wihr uns selb zuvor von der ordinatio und bischofflichen jurisdiction underreden, denn die eximia25 [!] der lehr seind den bischoffen nicht zuvortrauen.

Ich kan auff dißmal nichts weiter anzeigen. Ich besorge, es werde ein große verenderung des teuzschen Reichs durch den turcken und unseren keiser geschehen. Der allmechtige Gottes son, Jesus Christus, der ihm gewißlich eine ewige kirchen samlet durchs evangelium und nicht anders, wolle gnediglich die christliche kirchen und christliche fursten in Deuzschland regiren und bewaren.

Man schreibt, in der capitulation zwischen den keiser und pabst sei dieser artickel auch, das der keiser den gegebenen frieden /232/ zu Augspurg anno 1555 widerumb auffhebe26. Nu ist allwege zu arbeiten, das derselbige fried nicht geendert werde.

So auch der keiser wil fortfaren, ein national concilium zu machen, darinne der pabst und bischoffe regiren, acht ich, es werde langsam ins werck bracht werden. Und ob es gleich angefangen wurde, so haben wihr darin diesen vorteill, das wihr als denn stehen als feind gegen feind. Und so wihr ein ernst erzeigen, wil kein man [!] den pabst und bischoffen27 und ihren hochgelarten ihre blindtheit, untugent und tirannei also furmalen, das sie keinen glimpff erhalden werden. Und wird als dan die notturfft sein, das die unsern sich zuvor unterreden. Der allmechtige son Gottes, Jesus Christus, wolle uns gnediglichen regiren zu seinem lobe und wolle nicht türckische und andere abgöttische macht und regiment laßen gewaltig werden uber diese kirchen und landt etc.

Anno 1556. Philippus Melanchthon.

Anmerkungen

1
 Ermittelt bei  Scheible/Thüringer VII, Anm. zu Nrr. 7855, 7856 S. 443 f. (für Teil 1; dagegen für Teil 2 als Entstehungszeitraum „ca. April 1556“: Ebd., Anm. zu Nr. 7800 S. 424).
2
 In der handschr. Überlieferung dagegen keine Aufteilung, sondern gesichert ein zusammenhängendes Stück.
3
 Ebd., S. 424, die Vermutung, es handle sich um eine Vorarbeit für das zweite Gutachten Melanchthons zum Religionsvergleich [Nr. 467]. Vgl. dagegen den Hinweis im vorliegenden Gutachten auf eine zweite, zusätzliche Empfehlung (Anm. 19).
4
 Zur Ablehnung des Nationalkonzils als päpstlich geleitetes und ausschließlich von geistlichen Stimmberechtigten gebildetes Gremium durch Melanchthon und unter dessen Einfluss durch die CA-Stände beim RT 1556/57 vgl. Laubach, Nationalversammlung, 43 f.
5
 Papst Paul III. (reg. 1534–1549).
6
 Vgl. Anm.11 bei Nr. 467.
7
 = Freiburg im Breisgau.
8
 Justus Velsius (1510 – nach 1581), Mediziner, Humanist. Seit 1550 Prof. für Philosophie und Griechisch in Köln, 1554 Entzug der Lehrerlaubnis aufgrund bezweifelter Rechtgläubigkeit. Von der Inquisition als Wiedertäufer bezeichnet, bekannte sich Velsius im Dezember 1555 zur CA, wurde vom Rat auf ksl. Anordnung hin im März 1556 ausgewiesen und veröffentlichte dagegen die oben angesprochene, an Ks. und Kg. gerichtete „Apologie“ ( BBKL  XX, 1492–1495).
9
  RAb 1555, §§ 139–141 ( Aulinger/Eltz/Machoczek, RTA JR XX, Nr. 390 S. 3148 f.).
10
 Dies wird betont bei Ritter I, 128.
11
 Im Druck: „in“.
12
  Ebf. Sigismund (reg. 1552–1566), auch Bf. von Halberstadt.
13
 Die Bff. Michael Helding von Merseburg (Bf. 1549–1561) und Julius Pflug von Naumburg (Bf. 1546–1564). Vgl. Anm.8, 9 bei Nr. 433.
14
  Bf. Wilhelm von Ketteler (reg. 1553–1557).
15
 Vgl. auch die Kandidatenliste Melanchthons in Nr. 467. Zu Erhard Schnepf, Brenz, Mörlin, Stoll, Runge und Marbach vgl. die Hinweise in den Anm. bei Nr. 433; zu Hyperius: Anm.20 bei Nr. 353; zu Sarcerius: Anm.6 bei Nr. 382. Auswertung beider Listen: Slenczka, Schisma, 86–88.
16
 Daniel (Hans Daniel) Greser (1504–1591). Seit 1542 (bis 1589) Pfarrer und Superintendent in Dresden. Vgl. Bundschuh, Religionsgespräch, 239, Anm. 263; NDB  VII, 49 f. (Lit.).
17
 Joachim Westphal (1510–1574). Seit 1541 Pastor in Hamburg. Gnesiolutheraner; entschiedener Gegner Georg Majors und Wortführer im zweiten Abendmahlsstreit gegen Calvin. Vgl. Bundschuh, Religionsgespräch, 241, Anm. 285; TRE XXXV, 712–715 (Lit.).
18
 Adam Krafft (Craft, Crato, Fuldensis, Vegetius; 1493–1558), Reformator in Hessen. 1527 Prof. in Marburg, 1530 dort auch Superintendent; hessischer Generalvisitator. Teilnehmer an den Religionsgesprächen der 1540er Jahre. Vgl. Bundschuh, Religionsgespräch, 239, Anm. 273; NDB  XII, 646 f.; BBKL  XXXI, 747–760 (Lit.).
19
 Am Rand späterer Hinweis auf die Ablage dieses Gutachtens in HStA Dresden, Loc. 10192. Wohl Bezugnahme auf Nr. 467, ab fol. 37: Vom colloquio mit den bepstlichen.
20
 Im Druck: „Denn“.
21
  Bekenntnisschriften, 31–137.
22
 Schreiben der Hgg. Johann Friedrich d. M., Johann Wilhelm und Johann Friedrich d. J. von Sachsen an Ks. Karl V. vom 24. 3. 1549 (Weimar): PKMS IV, Nr. 312 S. 359 f.; Druffel I, Nr. 282 S. 209 f. Vgl. Beck, Johann Friedrich, Bd. I, 88 f.
23
 Confessio Virtembergica, 1552 verfasst von Johannes Brenz. Druck:  Brecht/Ehmer, Confessio, 36–199 (lat. und dt.).
24
 Bezugnahme auf den von Hamburg und Lübeck ausgehenden Widerstand der niedersächsischen Hansestädte gegen das Interim (Hansetag im August 1548) und die im August 1548 veröffentlichte Erklärung der Geistlichen der Städte Hamburg, Lübeck und Lüneburg, die aufgrund ihres Drucks als Stellungnahme der Städte gegen das Interim erschien. Lüneburg ließ daneben im Mai 1549 eine eigene Erklärung an den Ks. verfassen, Lübeck lehnte das Interim im Dezember 1549 unter Berufung auf die Widerlegung durch die Theologen der 3 Städte förmlich ab ( Hauschild, Kampf, bes. 65–71; Postel, Hansestädte).
25
 Im Druck: „examina“.
26
 Bei Scheible/Thüringer VII, Anm. zu Nr. 7800, S. 424, die Vermutung, mit der angesprochenen capitulation“ sei der Vertrag von Vaucelles vom 14. 2. 1556 zwischen Frankreich und Spanien gemeint. Vielleicht bezieht Melanchthon sich jedoch auf die Anfang 1556 auch in Sachsen kolportierte, nur vermeintliche Aussöhnung zwischen Ks. und Papst und die dabei angeblich vereinbarte Aufhebung des Religionsfriedens (vgl. Anm.16 bei Nr. 354).
27
 Vgl. die wohl korrekte Formulierung im Druck (andere Überlieferung): „erzeigen wollen, kann man dem Papst, den Bischoffen“.