Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Reichstag zu Regensburg 1556/57 bearbeitet von Josef Leeb

Rechtfertigung der verspäteten Ankunft des Kgs. Keine Mitschuld des Kgs. an der langen Verzögerung der Verhandlungsaufnahme. Unzufriedenheit mit dem Verhandlungsfortgang. Noch ausstehender Beschluss des KR zur vorrangigen Beratung der Türkenhilfe. Unabdingbarkeit einer raschen Bewilligung. Rechtfertigung der Verzögerungen durch die Reichsstände. Bereitschaft, die Verhandlungen im Religionsausschuss und parallel in den Kurien sofort aufzunehmen. Persönliche Ansprache des Kgs.

/354/ (Nachmittag, 3 Uhr) Kgl. Herberge. Einberufung aller Reichsstände zum Kg. Es erscheinen die Verordneten der Kff., der Ebf. von Salzburg, der Bf. von Regensburg, Hg. Albrecht von Bayern und Mgf. Philibert von Baden persönlich sowie die Gesandten der übrigen Stände im FR und der Reichsstädte.

/354 f./ In Anwesenheit des Kgs. trägt Vizekanzler Jonas mündlich vor1 : Kg. hätte nichts lieber gewollt, als pünktlich zu Beginn des RT zu kommen. Er zweifelt aber nicht, dass die Reichsstände die Gründe kennen, die ihn davon abgehalten haben2 , nämlich ein türkischer Angriff unter Ali Pascha auf Sziget, dessen Einnahme Gottes Gnade verhindert hat3 , sowie Rebellionen in Ungarn und Siebenbürgen4 /356/ Derwegen dan die hochste notturfft erfordert hette, solchem allem erschießlichen widerstandt zethun; wie auch daruf die gegenwehera mit treffentlich grossem uncosten angericht und dardurch die christliche getreue irer Mt. underthanen etlicher massen erhalten.

Um den RT wegen dieser Vorfälle nicht zu verzögern, hat der Kg. Hg. Albrecht von Bayern gebeten, als sein Kommissar die Verhandlungen mit der Proposition zu eröffnen. Hg. hat dies zum Wohl des Vaterlands übernommen und Kg. auch yederzeit, /357/ wie die sachen geschaffen, notwendige bericht und relation gethan5. Also das bei dissem geschwinden und gefarlichen krigß wesen, so irer Mt. zugestanden, doch kein mangel derselbigen irer Mt. thails erschienen. Dweil sich dan ire Mt. zuberichten, das etlich stendt beschwerung getragen, das sich die sachen alhie so lang verzogen6, und von irer Mt. wegen kein saumbsall oder mangel biß daher noch gewesen, so hetten sich ire Mt. gnediglichen versehen, die erscheinende der churfursten gesandten, die stendt und potschafften wurden die sachen und articuln disses Reichs tags dermassen gefurdert haben, uff das, wo nit sie gentzlichen disser zeit erledigt, doch etlicher massen weren zum beschluß pracht gewesen. Wes aber für verhinderungen darunther eingefallen und verzuglichs, solchs achten ire Mt. unvonnöten sein, yetzt erzelen zulassen, dweil den stenden und potschafften solchs alles selbst wissendt. Ire Mt. hetten auch ab dem verzug wol etwas beschwerung empfangen und getragen. Und alß ire Mt., /358/ wie vor vermeldet, an irer personlichen ankunfft vor diesser zeit mit anordnung des kriegß wesens gegen den unglaubigen und turcken, dardurch sie auch etlicher massen die arme betrangten christen erret, verhindert, hetten sie yederzeit von Bayern saten bericht und relation, wie alle sachen geschaffen, empfangen, und sonderlichen nun letzlichen vernomen, das der articul unser christlichen religion solle in einer sondern verordnung und ausschuß durch etliche deputierte personen beratschlagt und die andere articul und puncten disses Reichs tages in den ordinari rethen dabeneben tractiert werden. Demnach dan viel zeit verflossen und man noch nit ferner furgangen, hette ire kgl. Mt. nit umbgehen mögen, die stendt und potschafften zuerfordern und diesses also fürhalten zulassen, sie damit gnediglichen und freuntlichen vermanendt, mit fleisiger fürsetzung der beratschlagung solchen vleiß an- und furwenden, auff das die zeit, so vergeblichen hinpracht und verloren, widerumb erstattet und gewunnen werden möge.

Nachdem /359/ aber ire kgl. Mt. berichtet worden, das die kfl. abgesandten rethe sich noch nit entlichen entschlossen, das neben dem articul der religion, so durch den ausschuß zu tractieren, der notwendig punct der turcken hilff zuvorderst und vor allem anderm mit furzunemen und zu handlen7, so gesunnen ire Mt. mit allen gnaden, die churfurstliche rethe wolten sich dahin auch ercleren, das solcher notwendiger punct der turcken hilff sambt und neben dem ausschuß, darin religion zu handlen, zuvorderst und vor allem anderm simultanie, simul et semel fürzunemen. Und auf das die stendt und potschafften in deme die hochste notturfft zuvermercken, so wolten ire Mt. inen nit verhalten, das derselbigen gewisse kuntschafft einkomen8, wie der turck in der person selbst für 14 tagen zu Andrinopoli ankomen sein und sich mit eim mechtigen kriegß folck zu roß und fuß gefast machen solle, /360/ des entlichen vorhabens, die christliche landt gegen den kunfftigen fröling personlichen zu uberfallen, auch irer Mt. haubtstat Wien zubelegern9 und, wo es der almechtig nit gnediglichen abwenden würdet, seinen fuß weiter in die christenhait und teutsch nation zusetzen. Derwegen die tractation der hilff keinen verzugk erleiden konte noch mochte, dan sonst zu befaren, das wen der vheyandt10 schon alberait gefast, das man alßdan erstlich mit einpringung der hilff, ob die gleich bewilligt, ein lange zeit umbgehen muste und also dem gewaltigen vheyndt raum geben. Es wolten auch ire Mt. mit allem ernst und vleiß daran sein, damit irer Mt. thails die sachen schleunig furgehen mogen und nach beschlossenen sachen die stendt und potschafft nit aufgehalten, sonder furdarlichst wider anhaim komen und, sovil immer moglich, unnotiger uncosten gespart werde. Das alles hetten die kgl. Mt. also anzuzeigen befolhen. Und /361/ wurden an deme die stendt und potschafften Got dem almechtigen ein sonder angenemes werck, der ksl. und irer kgl. Mt. freuntlichen und underthenigen gefallen beweisen, dabeneben auch des algemeinen vatterlands eher, nutz und wolfart hochlich furdernb.

Getrennte Beratungen von KR und FR. Einigung auf eine gemeinsame Antwort an den Kg., der sich auch SR anschließt.

/361–363/ Vortrag der Antwort durch den Mainzer Kanzler: Die Reichsstände entschuldigen die verspätete Ankunft des Kgs. Sie bedauern die Bedrohung der kgl. Lande und sind deshalb hoch erfreut über den letzten Sieg gegen den Feind. Der Beauftragung Hg. Albrechts von Bayern mit der Eröffnung des RT entnehmen sie den Einsatz des Kgs. für die Obliegen des Reichs. /363/ Das aber biß doher weiter nicht, dan wie die kgl. Mt. bericht worden, procediert werden konnen, da weren gleichwol die verhinderungen fürgefallen, wie solche irer Mt. hievor unzweivelichen anpracht11; weren aber nichst weniger, so viel moglichen, in den sachen furgangen. Bethen derhalb, sie entschuldigt zu haben.

/363 f./ Bezüglich des Verhandlungsgangs und der noch ausstehenden Erklärung des KR, neben dem 1. HA (Religionsvergleich) den 2. HA (Türkenhilfe) vorrangig vorzunehmen, haben sich die Reichsstände insgesamt /364/ eines einhelligen bedenckens solches proceß halben verglichen, welchs Bayern alß commissario furpracht worden. Darin kein sonderung der kfl. rethe von den andern stenden gewesen, sonder einmutiglichen dahin gestelt, das der articul der religion in einer sonderer verordnung vermoge des passauischen vertrags und vorgehender Reichs handlung zutractieren und dabeneben die andere Reichs sachen in ordinari rethen furzunemen12. Daruf weiter bewogen, das gegen morgen solche verordnung des außschuß ins werck zurichten13 und zubesetzen dergestalt, das eines tags in solchem ausschuß die religion zuhandlen und folgenden tags in den ordinari rethen andere puncten disses Reichs tags, und das also einen /365/ tag umb den andern furzugehen, biß so lang man sehen mochte, wie sich die sachen anliessen und obe man simultanie procedieren konte. Des erpietens und dan, das sie nichst an irem vleiß abgehen lassen wolten, weren die stendt und potschafften auch noch. Und theten sich ire gnedigste und gnedige hern und obern der kgl. Mt. zu gnaden etc. befelhen etc.

Uff solchs haben ire Mt. selbst geret und aufs fleisigst die stendt ersucht, simul et semel bede puncten14, religion und turckenhilff, zutractieren, auch ire Mt. und dero christliche konichreich und lande mit trost und hilff nit zuverlassen, dan es die eusserst notturfft erforderte. Wes ire Mt. der kfl. rethe halben hetten anzeigen lassen, langte nit her auß der beschehenen relation, so Beyern furpracht, sonder weren ire Mt. dessen eusserlichen also bericht. Begerten, wie vermeldet, und die sachen zubefurdern. Wolten ire Mt. daran sein und selber nit verfeiren, domit die sachen uffs schleunigst beschlossen etc.

/366/ Hieruff ist man allenthalben widerumb abgeschieden.

Anmerkungen

1
 Vgl. folgenden Vortrag und die mündliche Antwort der Reichsstände (inhaltliche, aber keine wörtliche Übereinstimmung) als eigenständiges Aktenstück: StadtA Augsburg, RTA 13, unfol. (Kop.).
2
 Vgl. dazu die Vorträge der kgl. Kommissare am 10. 6. und 7. 7. 1556 [Nrr. 500, 501].
3
 Vgl. Anm.19 bei Nr. 1.
4
 Vgl. Anm.13 und 15 bei Nr. 1.
a
 gegenweher] Kursachsen (fol. 180’) zusätzlich: durch Ehg. Ferdinand, den Sohn des Kgs. [Vgl. Anm.3 bei Nr. 8.]
5
 Von Hg. Albrecht von Bayern sind als RT-Kommissar nur vereinzelt Berichte an Kg. Ferdinand überliefert (z.B. Regensburg, 14. 7. 1556, zur RT-Eröffnung: HStA München, KÄA 3177, fol. 33–34’. Kop.), da er Regensburg im Anschluss an die Proposition ja wieder verließ. Hauptinformationsquelle des Kgs. waren die zahlreichen Berichte seiner eigenen Kommissare von Helfenstein, von Waldburg und Zasius (HHStA Wien, RK RTA 36, 37, 38 passim), die daneben auch den Hg. von Bayern über das Geschehen am RT unterrichteten.
6
 Vgl. Anm.3 bei Nr. 501.
7
 Vgl. zuletzt die vagen Aussagen am 7. 12.: Kurmainz, pag. 350–352 [Nr. 41].
8
 Differenzierter im Protokoll der niederösterreichischen Gesandten: Gleichlautende Nachrichten aus Ungarn, Neapel, Konstantinopel, Italien und Venedig (SBB PK Berlin, Ms. germ. quart. 1196, hier fol. 80’).
9
 Laut den Meldungen des habsburgischen Geheimagenten Michael Černovič aus Konstantinopel war dort am 4. 9. 1556 der Krieg gegen Ferdinand I. ausgerufen worden; für das Frühjahr 1557 werde ein großer Feldzug unter der persönlichen Führung des Sultans nach Ungarn geplant (Bericht Černovič vom 17. 9. 1556: Žontar, Černovič, 174). Erst Ende April 1557 erreichte den Kg. die Nachricht, dass der Feldzug unterbleiben werde ( Laubach, Ferdinand I., 638).
10
 = Feind.
b
 furdern] Kursachsen (fol. 183’) zusätzlich: Anschließend bestätigt Kg. Ferdinand in persönlicher Rede den Vortrag. Do auch ire Mt. nicht bei der stedt blieben oder gewesen, so were daruf standen, das ein grosser schade erfolgt. Und ire Mt. hatt derselben sohn Ferdinanden ins feldt dem feindt entgegen ziehen lassen und also mehr ditzmal gewonnen dan verlohren. Dan es nicht on, es weren etliche stedt und flecke ausgebrandt und vorterbt, die dem turcken zugestanden und under seinem tiranischen gewaldt gewesen. Und weil in warhait die eusserste nott vorhanden, so begert ire Mt., wan wolte solchs bedencken, die sache nicht verziehen, sondern mit allem ernst und vleiß befordern. /184/ Ire Mt. welle thun als der vater des geliebten vaterlands deutscher nation, leib und gut zusetzen; mit ferner rede, man wolle nicht allain betrachten, das solichs nicht allain irer Mt., sondern der gantzen deutschen nation notturfft were etc. [Zusätzlich im kursächsischen Bericht vom 14. 12.: Und seint ihrer Mt. in disen reden fast die augen ubergangen (HStA Dresden, Loc. 10192/5, fol. 260–271’, hier 261. Or.; präs. Dresden, 18. 12. Vgl.  Kurze, Kurfürst, 100, Anm. 34; Laubach, Ferdinand I., 167). Vgl. auch Bericht des Mecklenburger Gesandten Drachstedt an Hg. Johann Albrecht vom 23. 12. 1556: Kg. hat diese Rede cum magno affectu gethan (LHA Schwerin, RTA I SchwR 50 Fasz. 3, fol. 66–73’, hier 70. Or.).]
11
 Vgl. Nr. 424.
12
 Vgl. Nr. 426.
13
 Vgl. Nr. 452.
14
 Gemeint: Gleichzeitige und tägliche Parallelberatung der Religionsfrage im Ausschuss und der Türkenhilfe in den Kurien, also Ablehnung der von den Reichsständen beschlossenen, täglich wechselnden Verhandlungen entweder im Ausschuss oder in den Kurien.