Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 10. Der Reichstag zu Worms 1509 bearbeitet von Dietmar Heil

[1.] Rückeroberung der im Krieg gegen Venedig verlorenen Gebiete; [2.] Beistandsabkommen aller habsburgischen Erblande, Reformvorschläge und Hilfsbewilligung der niederösterreichischen Landstände; [3.] Argumente für die Verhandlungen über eine Reichshilfe; [4.] Befestigung der Landesgrenzen, Mitspracherecht der Landstände bei Entscheidungen über Krieg und Frieden, Beschwerden und Anliegen der niederösterreichischen Länder; [5.] Vollzug der Wormser Verhandlungsergebnisse.

St. Pölten, NÖLA, Landtagshandlungen, Kart. 1, Fasz. mit der Aufschr.: Ausschüsse der fünf niederösterr. Erblande; Vergleich zu Mürzzuschlag, 10.11.1508, fol. 1–8’, 9’–13’ (Or. m. Spuren von 35 Ss.) = Textvorlage A. Klagenfurt, KLA, Ständisches Archiv I, Akten, Sch. 651, Fasz. 4, fol. 16–47’ (Kop.) = B. St. Pölten, NÖLA, HS 27/17, fol. 44’–51’ (spätere Kop., Überschr.: Handlung und furnemen, von den funf niderosterreichischn landen zu Mertzurschlag beslossen anno XVC und im achten.) = C.

[1.] Der Ks. hat auf den jüngst abgehaltenen Landtagen um den 29. September (Michaelis)eine Instruktion [Nr. 46] vorlegen lassen und [für den 16. Oktober] zu weiteren gemeinsamen Beratungen der niederösterreichischen Stände darüber nach Bruck a. d. Mur1geladen. Bezüglich der unter anderem darin enthaltenen acht Artikel wurden folgende Beschlüsse gefasst: 1. [Defensionsordnung der niederösterreichischen Erblande]. 2. Hinsichtlich der Rückeroberung der im letzten Krieg erlittenen Verluste an Venedig können sie nur dazu raten, bei den Ständen des Hl. Reiches, derhalb ir Mt. in solich verlust komen,eine ausreichend große Hilfe zu beantragen, mit dem Papst, den Kgg. von Frankreich, Spanien, England und Ungarn-Böhmen sowie mit anderen Herrschaftsträgern und den italienischen Republiken ein friedliches und freundschaftliches Verhältnis herzustellen und durch ein Bündnis oder wenigstens die Herstellung eines einvernehmlichen Verhältnisses die Eidgenossen für den ksl. Dienst zu gewinnen. Unter diesen Voraussetzungen sind die Erblande zweifellos gerne bereit, Hilfe zu leisten. Sollten die eroberten Besitzungen bei Venedig verbleiben und weiter befestigt werden, wären Kärnten und Krain gezwungen, diese unleidliche Nachbarschaft zu akzeptieren. Für den Fall jedoch, dass sich die Reichsstände zur Unterstützung bei der Rückeroberung verpflichten, sind die Gesandten2bevollmächtigt, gemeinsam mit den Vertretern Oberösterreichs und Burgunds eine angemessene Hilfe zu bewilligen.

[2.] 3. Über die gemeinsame Defensionsordnung Niederösterreichs, Oberösterreichs und Burgunds werden die Gesandten der einzelnen Länder zweifellos auf dem Reichstag gemeinsam beraten und weisungsgemäß einen Beschluss fassen. 4. Der Ks. hat in seiner Instruktion zugestanden, sich Kritik an seiner Person oder an seiner Regierung stellen zu wollen. […]. Die Gesandten sollen dem Ks. auf dem Reichstag in Worms oder wo sie ihn sonst antreffen werden, auf die sinkenden Einkünfte aus seinen Kammergütern und die wirtschaftliche Erschöpfung Niederösterreichs aufmerksam machen. [Vorschläge für eine Reform der niederösterr. Zentralregierung etc.]. Auch wenn den Gesandten darüber keine Einigung mit dem Ks. gelingt, haben die Landstände dennoch für den Kriegsfall einhellig eine bis Ostern befristete gegenseitige Hilfe von einem Reisigen und zwei Fußknechten je 200 Pfd. Herrengülte3beschlossen.

[3.] 5. Der Ks. hat die niederösterreichischen Länder aufgefordert, Gesandte zum Reichstag nach Worms zu schicken, um den Reichsständen dort ihre Anliegen und Beschwerden vorzutragen und um Hilfe zu bitten. Sie sind davon überzeugt, dass der Ks. als ihr Landesfürst dies besser als sie zu tun weiß, wollen ihn aber dennoch auf einige zu berücksichtigende Aspekte hinweisen: Der Grund für den Krieg gegen Venedig und die damit verbundenen schweren Verluste für die ksl. Erblande war die im Interesse des Reiches erstrebte Kaiserkrönung. Die Reichsstände sind deshalb verpflichtet, dem Ks. bei der Rückeroberung der verlorenen Gebiete zu helfen. Der jetzige Ks. wie auch sein Vater Ks. Friedrich sind viele Jahre lang wegen des Reiches in Kriege und vielfältige Gefahren geraten, mit schwerwiegenden Folgen für ihre eigene Liquidität und die Finanzen der Erblande. Die Kriegshilfen, die Steuern für den Ks. und die Belastung durch feindliche Nachbarn haben zu ihrem Niedergang geführt. Es steht zu befürchten, dass die Erblande aufgrund ihrer Schwäche in diesen unruhigen Zeiten für das Haus Österreich verlorengehen oder aufgeteilt werden, falls Ks. und Reich ihnen nicht eine beträchtliche Hilfe leisten. Sie sind allerdings zuversichtlich, dass diese gewährt wird.

Insbesondere ist zu bedenken, dass die Türken in a-den letzten 54–a Jahren4zahlreiche christliche Reiche unterjocht haben. Inzwischen können sie Krain und Teile der Steiermark binnen zweier Tage erreichen. Zwar fungiert das Kgr. Kroatien (Krabaten)als Puffer, den die Türken mit einer nur kleinen Heeresmacht nicht überwinden können. Doch wurde Kroatien in den vergangenen Jahren häufig von ihnen angegriffen. Es erlitt dabei erhebliche Verluste an Menschen und Gebieten und ist inzwischen zum Teil auch tributpflichtig. Das Land erhielt keinerlei Unterstützung und ist inzwischen zu sehr geschwächt, um auf sich gestellt weiterhin erfolgreich Widerstand leisten zu können. Auch die niederösterreichischen Länder, insbesondere Krain, wurden in den vergangenen vierzig Jahren siebenundzwanzig Mal von osmanischen Verwüstungszügen heimgesucht. bSie zogen ihrerseits zweimal mit einem großen Heer gegen die Türken zu Felde, waren aber jeweils weit unterlegen und erlitten beträchtliche Verluste–b. Insgesamt wurden im genannten Zeitraum über 200 000 Menschen5getötet oder als Gefangene abgeführt. Neben den Türkensteuern brachten in den letzten Jahren die Kriege gegen Ungarn und Venedig starke Belastungen mit sich. cSie können deshalb weder den Kroaten zu Hilfe kommen noch sich selbst erfolgreich gegen die Türken verteidigen–c. Nach ihrem Fall wären die deutsche Nation und die ganze Christenheit von Überfällen und Unterdrückung bedroht. Der Ks. weiß besser als sie die erforderlichen Gegenmaßnahmen zu bedenken und die Hilfe der Reichsstände dafür zu beantragen. dFalls er es wünscht, werden ihm die Gesandten dabei zur Seite stehen–d.

[4.] 6. Der Ks. hat sich bereit erklärt, nach Bewilligung einer Hilfe die Befestigung der Landesgrenzen zu übernehmen. Wie bereits dargelegt und von den Gesandten weiter auszuführen ist, haben die Länder diese Hilfe bewilligt. Sie fordern den Ks. deshalb auf, seine Zusage zu erfüllen, 7. ebenso seine Ankündigung, künftig keinen sie betreffenden Krieg ohne ihren Rat und ihre Zustimmung zu beginnen. [8. Beschwerden und Anliegen der Länder und einzelner Personen, unter anderem Mitteilung von Beschlüssen über Vorkehrungen für den Fall des Todes Ks. Maximilians vor Rückkehr der Gesandten aus Worms zur Sicherung der Nachfolge seiner Enkel in Niederösterreich].

[5.] Nach ihrer Rückkehr aus Worms sollen die Gesandten einen Termin zur Berichterstattung und Beratung über ihre Verhandlungen mit dem Ks., der Reichsversammlung sowie den anwesenden Vertretern Oberösterreichs anberaumen. Die dort getroffenen Beschlüsse sollen den übrigen Landständen eröffnet und anschließend vollzogen werden. Die beteiligten Landschaftsausschüsse garantieren aufgrund ihrer Vollmachten für die Verbindlichkeit der in dieser Instruktion niedergelegten Entscheidungen. Von diesem Schriftstück wurden sechs übereinstimmende Abschriften angefertigt und je ein Exemplar an die Ausschüsse und die Gesandten ausgehändigt.6

Anmerkungen

1
 In Bruck tagten wohl ab dem 16.10. lediglich die Landschaftsausschüsse aus der Steiermark, Kärnten und Krain, die auch in der Folge die von Ks. Maximilian auf Bitten der übrigen niederösterr. Ausschussmitglieder verfügte Verlegung nach Wiener Neustadt (Ks. Maximilian an die Landschaftsausschüsse der Steiermark, Kärntens und Krains, Kop. mit imit. Verm. cdcic., [Schoonhoven; gemäß Skriwan, Kaiser, S. 327], mittichen nach sand Dionisien tag[11.10.]1508; KLA Klagenfurt, Ständisches Archiv I, Akten, Sch. 651, Fasz. 4, fol. 4’–5’) ignorierten. Sie rechtfertigten dies unter anderem damit, zur Weiterreise nicht ermächtigt zu sein und die laut der Ende September vorgelegten Instruktion vom Ks. gewünschte landständische Gesandtschaft zum Wormser RT nicht verzögern zu wollen (Schreiben an die Ausschüsse Österreichs ob und unter der Enns bzw. an das niederösterr. Regiment in Linz, jew. Kop. Bruck a. d. Mur, mittich nach sand Gallen tag[18.10.]1508; ebd., fol. 6–7’; 8–9). Die Ausschüsse Österreichs ob und unter der Enns weigerten sich ihrerseits, nach Bruck zu kommen (Kop. Wiener Neustadt, 20/.24.10.1508; ebd., fol. 9’–11; 12’–13. Vgl. Moltke, Dietrichstein, S. 131f.; Burkert-Dottolo, Landstände, S. 22 Anm. 85). Wie es zur Verlegung des Ausschusslandtags nach Mürzzuschlag kam, ist nicht dokumentiert.
2
 Vorgesehen waren für Kärnten der Viztum zu Friesach, Balthasar von Thannhausen, und der ksl. Landesverweser in Kärnten und Hauptmannn des Stiftes Gurk, Veit Welzer (Vollmacht Abt Johann Parenpichlers von St. Paul im Lavanttal, Wolfgangs von Kraig und Christoph Welzers d. Ä. von Eberstein, Or. Perg. m. 3 besch. Ss., [Mürzzuschlag], 11.11.1508; KLA Klagenfurt, 457-B-38 St), für Österreich unter der Enns Gf. Heinrich Prüschenk von Hardegg, Martin von Pottenbrunn und Wolfgang Treu (Vollmacht Abt Sigismund Talers von Melk, Abt Michael Aigners von Heiligenkreuz, Christophs von Zinzendorf, Georgs von Königsberg, Gandolfs von Kienberg, Hieronymus Kislings, Hans Kuchlers und Lukas Breitschwerts, Or. Perg m. 8 Ss., Wien, phinztag nach sand Leopoltz tag[16.11.]1508; NÖLA St. Pölten, Hardegger Urkunden 608. Reinkonz.; ebd., Landtagshandlungen, Kart. 1, Fasz. mit der Aufschr.: Ausschüsse der fünf niederösterr. Erblande; Vergleich zu Mürzzuschlag, 10.11.1508, fol. 15–16’) und für die Steiermark Andre von Spangstein (Moltke, Dietrichstein, S. 132 Anm. 7). Hinsichtlich der Gesandten Österreichs ob der Enns und Krains liegen keine Unterlagen vor.
3
 = Geld- und Naturalieneinnahmen aus unbeweglichem Eigenbesitz; Moltke, Dietrichstein, S. 98.
a
–aden … 54] Im zugrundeliegenden Entwurf [Nr. 136] korrigiert aus: wenigen.
4
 Gemeint ist: seit der Eroberung Konstantinopels 1453.
b
–bSie … Verluste] Fehlt im Entwurf [Nr. 136]. 
5
 Diese Zahlenangabe basiert nicht einmal auf einer groben Schätzung. Im Entwurf [Nr. 136] waren die zuerst mit 100 000 Menschen bezifferten Deportierten und Todesopfer zu 300 000 korrigiert worden (Moltke, Dietrichstein, S. 134).
c
–cSie … verteidigen] Im Entwurf [Nr. 136] heißt es abweichend: Sollten die Türken Kroatien unterwerfen, könnten sie selbst ihnen, zumal angesichts der ungenügenden Befestigung ihrer Schlösser und Städte, auch keinen Widerstand mehr leisten. 
d
–dFalls … stehen] Im Entwurf [Nr. 136] heißt es stattdessen: Die Reichsstände sollten nicht länger zusehen, wenn die Türken immer mehr Land erobern und Christen entführen oder die Erblande ganz unterwerfen. Dies wird in wenigen Jahren geschehen, wenn sie nicht eine beträchtliche Hilfe erhalten. Jetzt könnten noch mit vergleichsweise geringen Mitteln Kroatien und die ksl. Erblande zum Schutz der deutschen Nation erhalten werden, was später auch mit großem Aufwand nicht mehr möglich sein wird. 
6
 Zu den in der Instruktion behandelten, hier ausgeklammerten Landesangelegenheiten vgl. Adler, Organisation, S. 266–269; Moltke, Dietrichstein, S. 136–140; Mader, Liechtenstein, S. 139.