Reichstagsakten Mittlere Reihe. Reichstagsakten unter Maximilian I. Band 9. Der Reichstag zu Konstanz 1507 bearbeitet von Dietmar Heil

[1.] Äußerungen Kg. Maximilians über seine Feinde und [2.] die Unzuverlässigkeit Ungarns in bezug auf die Türken; [3.] Werben des röm. Kg. um ein Bündnis mit Venedig; [4.] Vertraulichkeit der Mitteilungen Kg. Maximilians.

s.l., jedoch Innsbruck, 10. Januar 1507.

Venedig, AS, Capi del Consiglio dei Dieci, Lettere di Ambasciatori, busta 12, fol. 9 (ital. Reinschrift) = Textvorlage A. Ebd., fol. 8–8’ (chiffriertes Or.).

[1.] Kg. Maximilian bat ihn am Vortag [9.1.] zu sich und äußerte mit der aus Gründen der Geheimhaltung gemachten Auflage zur Berichterstattung ausschließlich an den Rat der Zehn und nicht an den Senat folgendes: Er habe derzeit drei Türken zu Feinden: den Kg. von Spanien (re de Tremisen1) wegen des Anspruches seiner Enkel auf das Kgr. Kastilien, den Kg. von Frankreich, der ein schlechter Mensch gleich dem treulosen Türken sei, und den türkischen Sultan (gran turcho). Er denke Tag und Nacht an nichts anderes, als sich an diesen Dreien zu rächen, insbesondere am frz. Kg. und am Sultan.

[2.] Der Kg. von Ungarn und er hätten einen dreijährigen Waffenstillstand mit den Türken geschlossen2, der bald auslaufe. Er habe deshalb Sigmund Pflug zu Kg. Wladislaw entsandt, um dessen Absichten diesbezüglich in Erfahrung zu bringen. Der Gesandte habe nach seiner Rückkehr berichtet, daß sich der ungarische Kg. ausweichend geäußert habe; von anderer Seite habe er jedoch zuverlässig in Erfahrung bringen können, daß der Kg. einen unbefristeten Geheimvertrag mit dem Sultan geschlossen habe.3 Wenn es sich so verhalte, vergeude Venedig die 30 000 Dukaten, die es jährlich an den ungarischen Kg. zahle.4 

[3.] Er, der röm. Kg., habe den schriftlichen Bericht des Kardinals von Brixen und die mündliche Relation des Ebf. von Trier vernommen5, ebenso wie zuvor die entsprechenden Mitteilungen Pasqualigos in Salzburg vor ihm und dem kgl. Rat.6 Er solle dem Dogen und dem Rat der Zehn berichten, che al tempo dela dieta imperial de Constanza vi farò resposta, attrovandome o non me attrovando in dicta dieta, perché pretendo che in essa dieta se dedugi la dicta resposta et se consegli de agendis. Ein von ihm kürzlich hier in Innsbruck verlesenes Schreiben der Signorie, das die in Salzburg (Malzpurch [!]) gegebene Antwort Pasqualigos auf seine Äußerung über die gegen ihn gerichtete Agitation Frankreichs in Venedig bestätige, und die Berichte seiner Gesandten, des Kardinals von Brixen und des Ebf. von Trier, gäben ihm Hoffnung, daß Venedig sich doch noch mit ihm verbünden werde. Er verspreche, der Republik, solange er lebe, niemals feindlich gegenüberzutreten, sondern ihr immer in jeder möglichen Weise beizustehen. Er, Pasqualigo, solle die Signorie inständig bitten, ihn nicht im Stich zu lassen. Die Signorie sei weise, aber nicht kriegserfahren, sie habe zwar genügend Soldaten, aber keinen Truppenkommandeur von seiner Qualität. Er verfüge bereits über 100 000 Dukaten, die er ausschließlich für den Italienzug verwenden werde, um sich an den Franzosen als seinen Feinden und als Feinden Venedigs zu rächen.

[4.] Der Kg. forderte ihn anschließend noch einmal auf, seine Äußerungen streng vertraulich zu behandeln und darüber ausschließlich an den Dogen und den Rat der Zehn zu berichten, nicht jedoch an den Senat. Falls dessen Informierung als notwendig erachtet werden sollte, bittet er, Pasqualigo, dies insgeheim zu tun, damit der röm. Kg. davon nicht erfährt.

Anmerkungen

1
 = Tlemcen/Algerien. Vgl. Hakluyt, Voyages IV, S. 37f.
2
 Gemäß Instruktion Kg. Maximilians vom 15.9.1504 sollten seine Gesandten den Beitritt des Kg. zum siebenjährigen Waffenstillstand zwischen dem Osmanischen Reich und Ungarn (20.8.1503) erklären (Gröblacher, König, S. 160–163; Babinger, Zwischenspiele, S. 328–330; Müller, Erbfeind, S. 257f.). Über den von Kg. Maximilian behaupteten Vertragsschluß liegen keine Unterlagen vor. Er hatte allerdings bereits kurz nach der Rückkehr seiner Gesandten aus der Türkei während des Hagenauer Tages 1505 eine entsprechende Mitteilung an die venezianischen Gesandten gemacht (Heil, RTA-MR VIII/1, Nr. 91, S. 244f.). Gröblacher (ebd., S. 162) geht davon aus, „daß Sultan Bayezid den erbetenen ‚willbrief’ über die Einbeziehung des Römischen Königs in den siebenjährigen Waffenstillstand und auch ein Schreiben an Maximilian übergeben hat“.
3
 Kein Nachweis. Da der bestehende Waffenstillstand erst 1510 auslaufen sollte, erscheint zumal angesichts der Vorgänge in Ungarn ein vorzeitiger erneuter Vertragsabschluß unwahrscheinlich.
4
 Kg. Wladislaw versicherte in einem Schreiben vom 18.6. an den Dogen, daß die ihm gezahlten Gelder ausschließlich zu den im Vertrag bestimmten Zwecken ausgegeben wurden (Libri commemoriali VI, Nr. 136, S. 93).
5
 Die Signorie hatte gegenüber den beiden Gesandten Kg. Maximilians im Nov. 1506 dessen Durchzug mit großer Heeresmacht verweigert und statt dessen – wie schon gegenüber den Gesandten Moysse, Fuchshard und Rauber Anfang Sept. 1506 (lat. Entwürfe für die Antworten an die Gesandten bzw. an Moysse, 5.9.1506; StA Venedig, Senato, Deliberazioni (Secreta) 1504–1506 (reg. 40), fol. 195’-196; 196–196’. Entsprechende Mitteilung an P. Pasqualigo, 6.9.1506; ebd., fol. 196’-197. Sanuto, Diarii VI, Sp. 411f.; Lutter, Kommunikation, S. 74f.) – dem Kg. einen Krönungszug mit kleinem Gefolge nahegelegt. Das vorgeschlagene Bündnis wurde als gleichermaßen unnötig angesichts der guten bilateralen Beziehungen wie destablisierend in Hinblick auf die Verhältnisse in Europa abgelehnt. Statt dessen sollte Maximilian einen Kreuzzug unternehmen (lat. Entwurf für die Antwort an Bf. Melchior von Brixen und Ebf. Jakob von Trier, 17.11.1506; StA Venedig, ebd., fol. 209–209’. Entsprechende Mitteilung des Dogen an den Orator in Frankreich, Alvise Mocenigo, ital. Kop., 19.11.1506; ebd., fol. 201–211. Lutter, ebd., S. 75, 130–134; Wiesflecker, Maximilian III, S. 356; Pernthaller, Bestrebungen, S. 75f.; Leipold, Beziehungen, S. 232f., 236f.; Ulmann, Maximilian II, S. 294f.; Wolff, Beziehungen, S. 89f.).
6
 Die Signorie hatte Pasqualigo am 21.11. über die Antwort an die kgl. Gesandten und deren weiteres Drängen informiert. Pasqualigo wurde angewiesen, Kg. Maximilian gegenüber darzulegen, daß die seinen Gesandten gegebene Antwort keiner weiteren Erklärung bedürfe (ital. Kop.; AS Venedig, Senato, Deliberazioni (Secreta) 1504–1506 (reg. 40), fol. 211). Bereits am 9.12. bestätigte der Senat den Eingang zweier Berichte Pasqualigos – der letzte datierte vom 1.12. – über seine Unterredungen mit Kg. Maximilian (vgl. Sanuto, Diarii VI, Sp. 505f.) und lobte dessen klugen Vortrag an den Kg., et maxime dove li havete affirmato esser penitus impossibile che nui possiamo ad persuasione de alcun principe del mondo esser rimossi da questa nostra optima dispositione et proposito, nonché ad far né pur pensar alcuna cosa offensiva né contraria a sua maestà (ital. Kop.; ebd., fol. 215’).