Deutsche Reichstagsakten, Reichsversammlungen 1556 – 1662 Der Kurfürstentag zu Regensburg 1575 bearbeitet von Christiane Neerfeld

Erinnerung an die den Kff. überschickten Berichte über den Konflikt in Livland und die Beschwerden der Hansestädte an der Ostsee. Verweis auf die Beschlüsse früherer RVV betreffend eine Gesandtschaft nach Moskau, die wegen Finanzierungsschwierigkeiten bislang nicht stattfinden konnte. Bitte an die Kff. und Pfgf. Ludwig, über Hilfe für das bedrängte Livland, ein mögliches Bündnis mit dem Zaren sowie über die Finanzierung der Gesandtschaft nach Moskau zu beraten.

Den Kff. und Pfgf. Ludwig wahrscheinlich zusammen mit den drei ksl. Propositionen am 24.10.1575 in der ksl. Herberge übergeben1 und am selben Tag kopiert2. Am Vormittag des 26.10.1575 im KR verlesen und beraten3.

HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 10675/3, fol. 26–29 (undatierte Kop.Dorsv.: Kayserlicher Mt. etc. vhortragk die Lifflande betreffende.) = Textvorlage. LAV NRW R, Kurköln V, Nr. 9, fol. 41–43 (Kop.Dorsv.: Ksl. Mt. vortrag die Leiflandt betreffent, Regensburg anno 75.) = B.

/26/ Als die röm.ksl.aMt., unser allergnedigster herr, unlangst vor ihrem abreisen aus dero cron Behem des Heiligen Reichs Kff. erstlichen vomb 18. Juliic, dan auch vom 18. Augusti jungsthin etzliche beschwerliche zeittungen auß dem Lifflande zugeschickht, zw dem effect und ende, das ihre kfl.Gnn. denselben hiezwischen nachdencken und alßdan zw dieser alhie angestelten zusammenkunfft ihrer ksl.Mt. ihr rahtlich gutachten, was ungevehrlich darunder zuthun und wie doch denselben so hoch betrubten landen etlicher massen aus ihren beschwerungen geholffen werden möge, zu eröffenen, weiters inhalts derselben ihrer Mt. gethanen schreiben, und dand ihre ksl.Mt. seidt anhero von andern mehr ortten, sonderlich aber an der Ostsehe gesessenen anselichen steten, gantz undertheniglich ersucht worden, derselben sachen, alß daran dem Heiligen Reich hoch und viel gelegen, gnediglich inndenck zusein, so hat demnach i.ksl.Mt. nit underlassen können noch sollen, ihre kfl.Gnn. /26'/ deßjenigen, so angeregter Lifflandt halben etliche jhar lange anhero furgangen, mit kurtzen zuerinnern.

Und anfenglich setzen ihre ksl.Mt. inn keinen zweifel, ihre kfl.Gnn. seien noch inn frischen angedencken, was i.ksl.Mt. under jungsten gehaltenen reichstag zw Speier berurter Lifflandt halben gemeine stende erinnert und weßmassen daselbst einhellig beschlossen worden, eine ansehenliche schickung auff der stende costen zw dem großfursten inn die Moßcaw zuthun4. So wirdt auch ihren kfl.Gnn. vorsehentlich unentfallen sein, was i.ksl.Mt. desselben uncostens halben, wannen hero derselbe genommen und was ungevehrlich fur personen zw berurter legation gezogen werden solten hernacher auff dem deputation tag zw Franckfurt und auch der churfurstlichen vorsamlung zw Mulhausen weiters angeregt5, dan auch zw etlichen underschidlichen mal wegen der stadt Refell /27/ feindtlicher belegerung6, deßgleichen der stadt Riga subjection7 und letzlichen eröberung der Parnaw8 halben ihren kfl.Gnn. zugeschrieben. Ob dan woll, sovil bemelten legation costen anlangt, erstlich zw berurtem franckfurdischen deputation tag vorabschiedet, das derselbige auß des Reichs restanden zunehmen, dan förders zw Mulhausen ihrer Mt. durch die Kff. eingereumbt, zw berurter schickung biß zw einer gemeinen Reichs vorsamlung inn die zwantzigk oder dreissig tausent fl. aufftzunehmen, neben deme auch andere mehr guthertzige bedencken von beschickung und tröstung der vorberurten beidenf stete Riga unnd Refell uff die ban kommen, so haben doch i.ksl.Mt. jedes mal ihre kfl.Gnn. außfurlich inn schrifften bericht, das nicht alleine im Heiligen Reich kein einiger ausstandt oder restandt, der nit zw anderer notturfft destinirt und davon angeregter legation costen /27'/ genommen werden mochte, vorhanden, sonder auch bei denen so scheinbaren und uberschwengklichen ihrer Mt. außgaben und obligenden mercklichen schulden lasten ihrer Mt. beschwerlich were, die bestimbte summa, do sie auch gleich (wie nit wenig zweifelich) zw angeregter so ansehenlichen schickung gnugsam, aufftzubringen. Dieweil aber nichts desto minder hiezwischen die bemelte stete und stende inn Lifflandt von wegen zugestandener eussersten beschwerung, uberzug und vorherungen deß moßcowitters zu vilmalen bei ihrer Mt. umb gnedigsteg hulff und rettung oder je zum wenigsten einen fridlichen anstandt zum erbermlichsten und flelichsten angehalten, und also die höchste unumbgengliche notturfft erfordern will, vilberurte legation lenger nicht eintzustellen, bevorab weil gedachter großfurst nicht alleine derselbigen vorlengst vortrost /28/ worden9, sondern er auch selbst darumb zum hefftigsten anhelt und sich anerbüetig macht, seiner voreltern exempel nach mit i.ksl.Mt. und dem Heiligen Reiche inn gutten nachtbarlichen vorstendtnus und einigung zukommen, derowegen wöllen ihre ksl.Mt. hochgedachte churfursten gantz freundtlich und gnediglich ersucht und ermanet haben, sie wollen nachmalß der lifflendischen sachen, an dero dannoch dem Heiligen Reiche, furnemlich aber denen an der Ostsehe gesessenen stenden von wegen immer je mehr und mehr einbrechenden und zunahenden moßcowitterischen gewalts nicht wenig gelegen, darinnen auch der beiden obbemelten stette halben daß höchste periculum in mora ist, mit allem fleisse nachdencken und i.ksl.Mt. ihre einhellige meinung und gutachten eröffnen, auff waß ungevehrliche maß die noch ubrige stende /28'/ und stette inn Lifflandt vor weiterem vorderben zuretten und das jenige, was hinweg kommen, zw des Heiligen Reichs subjection widerumb zubringen, wie auch die zuvor einhellig bewilligte schickung inn die Moßcaw (darauff auch i.ksl.Mt. vorlengst geleite und sicherheit erlangt und zw etwas vorbereitung derselben und damit der großfurst ob deme so langen vorzug nit befrembdung trage, albereit etliche ihre rhäte und diener mit mercklichen uncosten hienein geschickht10) zum forderlichsten und nutzlichsten antzustellen, deßgleichen wie weit und was gestaldt i.Mt. sich von des Heiligen Reichs wegen mit dem moßcowitter der angebottenen einigung halben eintzulassen, und dan wannen hero der uncosten, so darauff gehen würde /29/ genommen werden möchte, fürders und neben demselben auch dasjenige, was i.ksl.Mt. wegen der stadt Riga subjection11 und dan des königes zw Schweden begerten protection kostens12, desgleichen hertzogk Magni zw Ho[l]stein13 halben lengst vorflossenen 72. jhares an ihre kfl.Gnn. abgesondert geschrieben, inn berathschlagung ziehen und i.ksl.Mt. inn allen solchen puncten ihr wolmeinlich rahtsam gutachten unbeschwerdt eroffenen. Das neben deme es zw des Hl.h Reichs selbst bestem gereicht, wollen i.ksl.Mt. gegen ihren kfl.Gnn. inn freundtschafft und gnaden hinwiderumb zuerkennen jedertzeit geneigt erfunden werden.

Anmerkungen

1
Kurpfalz, fol. 53 (Text in Anm.a bei Nr. 12).
2
Kurbrandenburg, fol. 172' (Nr. 13).
3
Kurbrandenburg, fol. 179'–189 (Nr. 14).
a
 röm.ksl.] Korr. nach B. In der Textvorlage verschrieben: romischen keiserlichen.
b
 vom] Korr. nach B. In der Textvorlage: den.
c
 Julii] In B: Junii.
d
 dan] In B: do.
e
 lang] Ergänzt nach B.
4
Zu den Beschlüssen auf dem RT in Speyer 1570 vgl. Anm.4 bei Nr. 14.
5
Zu den Beschlüssen auf dem DT in Frankfurt 1571 und auf dem Kurfürstentag in Mühlhausen 1572 vgl. Anm.5 bei Nr. 14.
6
Die livländische Hafenstadt Reval (estnisch Tallinn) hatte sich 1561 Schweden unterworfen und war von August 1570 bis März 1571 von russischen Truppen unter Hg. Magnus belagert worden (Baltisches historisches Ortslexikon I, 498–500; Renner, Herzog, 144–146).
7
Vgl. unten Anm. 11.
8
Vgl. Anm.4 bei Nr. 52.
f
 beiden] Ergänzt nach B.
g
 umb gnedigste] Korr. nach B. In der Textvorlage nachträglich eingefügt: underthenigste.
9
Vgl. die folgende Anm. sowie Anm.6 bei Nr. 14.
10
Bezug auf die ksl. Gesandtschaft unter der Leitung von Johann Kobenzl von Prossegg, der neben Daniel Prinz von Buchau auch Wolfgang von Stubenberg und Christoph von Herberstein angehörten und die Mitte Oktober 1575 nach Moskau aufgebrochen war; vgl. Anm.6 bei Nr. 14 sowie Cavazza, Relatione, 63 f.
11
Als Gegenleistung für den Schutz vor russischen Angriffen hatte sich die livländische Handelsmetropole Riga (Baltisches historisches Ortslexikon II, 504–510) 1562 Polen-Litauen unterwerfen müssen. Die staatsrechtliche Zuordnung der Stadt war jedoch auch noch nach der Eingliederung Livlands in das Großfst. Litauen im Jahr 1566 ungeklärt, da Riga eine Sonderstellung für sich beanspruchte und sich ohne Garantien des polnischen Kg. nicht formal vom Reich loslösen wollte (Lenz, Untertanentreue). Nachdem Riga im Dezember 1571 den Ks. darum gebeten hatte, die Oberhoheit des Reichs über die Stadt gegen polnische Ansprüche zu bestätigen, war auf dem Kurfürstentag in Mühlhausen 1572 eine Gesandtschaft nach Polen beschlossen worden, die mit dem polnischen Kg. über den Status Rigas verhandeln sollte (Lanzinner, Friedenssicherung, 455, 458; Luttenberger, Kurfürsten, 221 f. mit Anm. 126, 232). Nach der Wahl Ks. Maximilians II. zum polnischen Kg. versuchte eine Gesandtschaft Rigas im Frühjahr 1576 erfolglos, vom Ks. den Status einer Freien Reichsstadt zu erlangen (Lenz, Untertanentreue, 256–258).
12
Im dritten Teil des am 13.12.1570 in Stettin zwischen Schweden und dem Ks. geschlossenen Friedens (Rydberg, Sverges traktater IV, Nr. 62 S. 432–441) hatte Schweden die Rechtsansprüche des Reichs auf die Oberhoheit in Livland anerkannt und eingewilligt, die schwedisch besetzten Gebiete in Livland gegen Erstattung der Kriegskosten an das Reich abzutreten (Lanzinner, Friedenssicherung, 412–414, 417 f.; Turek-Kwiatkowska, Stettiner Kongreß, 9; Lavery, Challenge, 131). Die Rückzahlung der Kriegskosten war jedoch noch nicht erfolgt und ebensowenig hatte das Reich den im Vertrag vereinbarten Schutz Livlands gegen Moskau übernommen. Schweden trug daher weiterhin die Lasten für die Verteidigung Livlands (Uebersberger, Österreich, 366 f.). Die Frage der Ratifikation des Stettiner Friedens und der Übergabe der schwedischen Protektionsgebiete an das Reich war auf dem Kurfürstentag in Mühlhausen 1572 auf den nächsten RT verschoben worden (Lanzinner, Friedenssicherung, 458 f.; Luttenberger, Kurfürsten, 222, 232). Zuletzt hatte Schweden bei einer Gesandtenkonferenz in Rostock im Sommer 1574 auf einer Entschädigung für die Protektionskosten bestanden (Lavery, Challenge, 138). Da bis 1579 in dieser Frage keine Einigung erreicht wurde, kündigte Schweden schließlich die Oberhoheit des Reichs über Livland auf (Lanzinner, Friedenssicherung, 421 f.; Lavery, Challenge, 140).
13
Hg. Magnus von Holstein (1540–1583), Bruder des dänischen Kg. Friedrich II. und Bf. von Ösel-Wiek und Kurland, war seit 1570 Vasall des Zaren, der ihn zum „König von Livland“ ernannte. 1570/71 war er der Befehlshaber des russischen Heeres bei der Belagerung von Reval (Renner, Herzog). Die Rechtfertigung des Hg. für sein Verhalten in Livland gegenüber dem Reich war bereits auf dem Kurfürstentag in Mühlhausen 1572 diskutiert worden, jedoch hatte man auch in dieser Frage die Entscheidung dem nächsten RT überlassen (Lanzinner, Friedenssicherung, 455, 458; Luttenberger, Kurfürsten, 222 mit Anm. 128, 232).
h
 Hl.] Ergänzt nach B.